Wie lässt sich die Pferdewelt digitalisieren? Das Familienunternehmen Werkman Hoofcare hat bereits ein Jahrhundert Erfahrung bei der Herstellung von Hufeisen. Ein revolutionäres, neues Konzept misst weltweit erstmalig den Gang eines Pferdes mit Hilfe von Sensoren.
Intelligente Hufeisen. Diese Innovation liefert einen Schatz von Informationen für Hufschmiede, Tierärzte und Pferdebesitzern und hilft dabei Pferde gesund zu halten und bessere Leistungen zu bringen.
Das Familienunternehmen aus dem nordniederländischen Groningen.
Urgroßvater Werkman fing vor 111 Jahren als Hufschmied an und schmiedete die Eisen noch von Hand. Die industrielle Revolution nutzte er, um ein Produktionsunternehmen daraus zu machen, dass Hufeisen für Arbeitspferde, Bauernpferde und Infanteriepferde herstellte. Mit dem Aufkommen von Panzern und Traktoren verschwand dieser Markt und Werkman Hoofcare konzentrierte sich auf Sportpferde. „Mein Opa fuhr im wahrsten Sinne des Wortes mit Hufeisen im Kofferraum seines Autos über die Grenze, um sie zu exportieren, unter anderem nach Deutschland und Dänemark. Mein Vater sorgte dann dafür, dass wir weiterhin im eigenen Land produzieren konnten, indem er den Prozess automatisierte. Jede Generation hatte ihre eigene Herausforderung. Und noch immer leben wir vom Export. Lediglich einen kleinen Teil der Hufeisen verkaufen wir im eigenen Land“, erzählt Christel Werkman, die vierte Generation dieses Familienunternehmens.
Messen und Daten zu sammeln, stellt sich als effektiv heraus
2019 brachte Christel ein neues Konzept auf den Markt: „Werkman Black“. Dieses Produkt wurde in enger Kooperation mit der Universität Leipzig entwickelt, mit der Werkman bereits seit 2012 zusammenarbeitet. Die Beta-Version wurde in einer kleinen Gruppe getestet. „Wir suchen gerne in anderen Branchen nach neuen Möglichkeiten. Dieses ist doch das Zeitalter des Internet of Things. In anderen Branchen werden schon häufig Sensoren eingesetzt. In der Biowissenschaft haben wir zum Beispiel Podologen damit arbeiten sehen. Das Messen und Daten zu sammeln, stellt sich als effektiv heraus. Also warum sollten wir das nicht für unser Geschäft einsetzen? Was wäre, wenn Pferdehufe ein ähnliches Feedback geben können?“, erklärt Werkman. „Mit ‚Werkman Black‘ machen wir Dinge sichtbar, die zuvor unsichtbar waren: Die Auswirkungen des Ganges eines Pferdes auf den Hufbeschlag.“
Verlängerung des menschlichen Auges
Um die Messung zu ermöglichen, kauft der Kunde – ein Hufschmied, Tierarzt oder Kunde eines Kunden: Profi- und Hobbyreiter – einen Koffer mit zwei Sensoren, einer Fernbedienung sowie ein Tablet mit Software. „Normalerweise lässt ein Hufschmied ein Pferd laufen und beurteilt den Gang des Pferdes mit seinem Blick auf Grundlage seiner Erfahrung. Das menschliche Auge kann jedoch nur 25 bis 50 Bilder pro Sekunde verarbeiten und sieht daher nicht alles: Ein Pferd läuft zu schnell“, erzählt Werkman. „Unser Sensor misst 1.140 Bildern pro Sekunde, die Sie in Zeitlupe abspielen können. In einer Animation sehen Sie dann jede Millisekunde des Abrollens des Hufes und mit welcher Stelle das Pferd genau auftritt. Letztendlich funktioniert es als Verlängerung des menschlichen Auges.“
Wertvolles Wissen für den Schmied
Ziel der Messungen ist es, das Pferd gesund zu halten und bei den geforderten Leistungen zu unterstützen. Dabei wird unter anderem auf die Anzahl der Schritte, den Hufwinkel und das Auftreten und Abrollen des Hufes geschaut. Die Informationen, die in einem Logbuch gespeichert werden, sind für den Schmied Gold wert. „Er kann die Leistungen des Pferdes verfolgen, dazu auf die Historie zurückgreifen, den Verlauf und eventuelle Abweichungen in den Parametern sehen. Und anstelle sich auf sein Gefühl zu verlassen, kann er nun auf Basis von Fakten mit dem Tierarzt oder dem Reiter kommunizieren. Stellen Sie sich vor, es verändert sich etwas im Auftrittsmuster. Dann könnte ein Problem vorliegen. Sie möchten möglichst wenig Abweichung, damit die Sehnen immer denselben Druck bekommen. Auf Grundlage Ihrer Befunde können Sie einen Huf dann anders trimmen oder ein Hufeisen etwas anders setzen, damit das Pferd den Huf gut abrollen kann. Indem Abweichungen frühzeitig festgestellt werden, kann er auch früher einen Tierarzt hinzuziehen und verhindern, dass sich das Pferd verletzt. Eigentlich machen dasselbe wie beim Vermessen von Sportschuhen für Spitzensportler“, so Werkman. Kunden kaufen die Hardware und dürfen dann zwei Jahre lang die Software nutzen, anschließend kann die Lizenz verlängert werden.
Bestimmung der funktionalen Anforderungen
Für die Testgruppe wurden in erster Linie vorhandene Sensoren verwendet, aber das war wenig erfolgreich. „Aus dem Kickoff mit Variass haben wir einen User-Case erstellt, um die funktionalen Anforderungen zu bestimmen. Es handelt sich um ein kleines Produkt, dass am Vorderbein des Pferdes befestigt wird. Es muss also Stöße aushalten, falls das Pferd irgendwo gegentritt. Hufschmiede mussten den Sensor mit Hilfe eines Steckers aufladen und steckten diesen dann verkehrt herum in das Gerät. Jetzt funktioniert das vollkommen drahtlos über Bluetooth und der Sensor ist wasserdicht, denn es gingen beim Putzen der Pferde immer wieder welche kaputt.“
FME-Mitgliedsunternehmen Variass aus Veendam wurde für die Herstellung der Elektronik für die Sensoren, das Gehäuse und die Fernbedienung ausgewählt. „Werkman und wir bewegen uns in vollkommen unterschiedlichen Märkten, daher waren einige Besprechungen erforderlich“, erklärt Geschäftsführer Henk Smid. „Als Parteien aus dem Norden bieten wir die Industrialisierung des Produktes, das weit von ihrem Kerngeschäft entfernt ist, gemeinsam aufgenommen. Dabei haben wir die richtigen Partner zusammengebracht und auf die Montierbar- und Testbarkeit sowie auf Compliance und Lifecycle-Management geachtet.“
Der nächste Schritt
Als Familienunternehmen denkt Werkman Hoofcare, in dem Bestreben Fundamente zu legen, über Generationen hinaus. Erneuerung und das Annehmen von Veränderungen gehören dazu. „Wenn man stehen bleibt, ist es bald zu spät. Gerade in Krisenzeiten sind Innovation und die Vorbereitung der nächsten Schritte wichtig für das Handwerk. Die Stärke eines Familienunternehmens liegt auch darin, ohne Rücksicht auf Aktionäre investieren zu können“, sagt Werkman. Jetzt da die Technik funktioniert, wird Werkman Hoofcare diese auch bei der Analyse des Gangs der Hinterbeine einsetzen. „Dazu wird ein anderer Algorithmus benötigt. Dies liefert einen besseren Einblick in die Kompensation, wodurch ein Pferd anders läuft, um einen schmerzenden Huf zu entlasten. Außerdem werden wir auf Grundlage von Kundenfragen, das Produkt weiterentwickeln. Denn letztendlich geht es um die Frage: Wie übertrage ich neue Technik in einen Mehrwert für den Kunden?“
An diesem Beitrag haben mitgewirkt:
- Produktion: Emma van Harten
- Partnerships: Derk Marseille
- Redaktion: Bertus Bouwman und Peter Oehmen (sprachliche Adaption)
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