Szenarien für eine weltweite Energiewende

Technologie ist nicht der begrenzende Faktor, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, sondern ihr Potenzial wird noch nicht voll ausgeschöpft.

In diesem Jahr sorgte das Coronavirus für einen beispiellosen Rückgang des Verbrauchs fossiler Brennstoffe. Trotzdem hat sich dies jedoch kaum auf den notwendigen Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft ausgewirkt. Das lässt Unternehmer und Investoren im Unklaren: Sollen sie in CO2-reduzierende Techniken investieren oder sich an eine Welt des zunehmenden Klimawandels anpassen? Dadurch könnten sie eine abwartende Haltung einnehmen, während gerade eine Beschleunigung notwendig wäre. Eine stärkere Klimapolitik kann diese sich selbsterfüllende Prophezeiung durchbrechen.

Dies ist eine der vielen Schlussfolgerungen aus unserer Szenarienplanungsanalyse für die weltweite Energiewende. Die Szenarienplanung zeigt, dass technologische Entwicklung und das Eingreifen der Politik die wesentlichen Unsicherheitsfaktoren für die Geschwindigkeit der Energiewende darstellen. Beides hängt miteinander zusammen. Politik macht die vielen Techniken zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen in energieintensiven Sektoren auch möglich.

Das „Fast-Forward“-Szenario steht für eine schnelle Energiewende. Technologie und Politik verstärken sich beim Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und bei der Begrenzung der Erwärmung auf 2 Grad gegenseitig.

Unser Alternativszenario ist das Szenario „Wait and See“. In diesem Szenario nutzen Unternehmen und Verbraucher weiterhin fossile Brennstoffe, wie sie es schon seit Jahren tun. Dadurch nehmen die weltweiten Emissionen zu. Wenn die Welt den Energiepfad aus der Zeit vor der Coronakrise beibehält, kann sich die Erde gut 3-5 Grad erwärmen. Dabei nehmen die Klimarisiken rapide zu.

Die beiden Welten unterscheiden sich durch die Geschwindigkeit, mit der energieintensive Sektoren nachhaltiger werden.

Es gibt große Unterschiede in der Art und Weise, wie Sektoren nachhaltiger werden.

Automotive:

Im „Fast-Forward“-Szenario, in dem jedes neu verkaufte Auto ab 2035 ein Elektroauto ist, sinkt die Ölnachfrage bis zum Jahr 2040 um 75 %. Im Szenario „Wait and See“ ist dies auf ein von vier Autos beschränkt.

LKW:

Lastwagen, die mit Strom oder Wasserstoff fahren und denen Biokraftstoffe in dieselbetriebenen Lastkraftwagen beigemischt werden, können den Ölbedarf um 35 % senken. Trotzdem bleibt der Sektor weiterhin vom Öl abhängig: Sogar in der „Fast-Forward“-Welt werden 2040 noch 72 % der Lastwagen mit Diesel fahren.

Schifffahrt:

Mit Flüssigerdgas angetriebene Schiffe können die Ölnachfrage um 18 % reduzieren. Wie bei den LKWs bleibt dieser Sektor jedoch weiterhin stark vom Öl abhängig, da nur wenige alternative Technologien verfügbar sind. Im Jahr 2040 werden 82 % der Schiffe weltweit immer noch einen mit Öl betriebenen Motor haben.

Luftfahrt:

Die Ölnachfrage wird in beiden Szenarien bis 2040 aufgrund eines steigenden Bedarfs an Flugbewegungen weiter zunehmen. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass die Nachfrage im Jahr 2020 zusammengebrochen ist. In beiden Szenarien nimmt der Einsatz von biologischen und synthetischen Kraftstoffen zu. Der Unterschied bei den Ergebnissen wird hauptsächlich durch das unterschiedliche Tempo bei den Energieeinsparungen bestimmt.

Industrie:

Im Szenario „Wait and See“, in dem der Sektor wenig in Nachhaltigkeit investiert, verbraucht die Industrie im Jahr 2040 gut 49 % mehr Energie. Andererseits nimmt die Nutzung fossiler Brennstoffe im „Fast-Forward“-Szenario aufgrund der groß angelegten Elektrifizierung und der Nutzung von Biokraftstoffen ab.

Bebaute Umgebung:

Der Energiebedarf in der bebauten Umgebung steigt in beiden Szenarien. Es ist nach wie vor schwierig, das Tempo der Energieeinsparung deutlich zu erhöhen, insbesondere im bestehenden Gebäudebestand. Millionen von Menschen in Entwicklungsländern werden ebenfalls Zugang zu Elektrizität bekommen. Eine geringere Nutzung von Biomasse und Gas und eine stärkere Nutzung von Elektroheiztechniken und Wärmenetzen verursachen die Unterschiede zwischen den Szenarien.

Stromsektor:

Die weltweite Nachfrage nach Strom steigt in beiden Szenarien deutlich an. Schließlich ist die Elektrifizierung eine wichtige Technik, um die Industrie, verschiedene Transportsektoren und die bebaute Umgebung nachhaltiger zu gestalten. Mehr erneuerbare Energiequellen (hauptsächlich Wind- und Sonnenenergie) sowie Speichertechnik führen zu einer Verringerung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe, insbesondere von Kohle. Die Kernenergie ist keine CO2-freie Energiequelle, in die der Markt von sich aus investieren wird. Wachstum hängt von Politik, Innovation und gesellschaftlicher Akzeptanz ab.

Die Szenarien „Fast Forward“ und „Wait and See“ zeigen die Grenzen auf, innerhalb derer sich die zukünftige Nachfrage nach fossilen Brennstoffen entwickeln wird. Sie sagen nichts über die wahrscheinliche Entwicklung aus. Unser „Likely-Tech“-Szenario tut dies hingegen schon. Es impliziert, dass wir den Höhepunkt des Kohleverbrauchs überschritten haben, dass die Ölnachfrage nicht wieder das Niveau vor dem Ausbruch von Corona erreichen wird und dass die Gasnachfrage noch geraume Zeit steigen wird. Allerdings reicht die Reduzierung fossiler Brennstoffe in diesem Szenario nicht aus, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen.

Covid-19 ist wie ein Tropfen auf den heißen Stein

Obwohl das Corona-Virus in diesem Jahr zu einem historischen Rückgang im Verbrauch fossiler Brennstoffe führt, macht dies bei der Erreichung der Klimaziele vorerst wenig Unterschied.

Erstens sind die Lockdown-Zeiträume, die sich am stärksten auf die Nutzung auswirken, nur vorübergehend. Es wird erwartet, dass die Weltwirtschaft bis 2040 um bis zu zwei Drittel wachsen wird. Zweitens, obwohl sich die Präferenzen durch das Corona-Virus innerhalb der Teilsektoren erheblich verändern können, sind die Auswirkungen auf den Gesamtsektor begrenzter. So wird das Corona-Virus wahrscheinlich einen nachhaltigen Einfluss auf den Geschäftsflugverkehr haben, aber touristische Flugreisen können wiederaufgenommen werden, sobald ein wirksamer Impfstoff zur Verfügung steht.

Abschließend hat das Virus noch nicht zu einer Beschleunigung der Klimapolitik geführt. Obwohl einige Länder Schritte zum Wiederaufbau einer nachhaltigeren Wirtschaft unternehmen, ist dies noch kein globaler Trend.
Auf globaler Ebene ist es wahrscheinlicher, dass das Corona-Virus im Moment eher zu einem Aufschub notwendiger Investitionen führen wird, da viele Unternehmen um ihr Überleben kämpfen. Insgesamt betrachtet ist der Abfall in der Nutzung fossiler Brennstoffe durch Corona wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Die wirkliche Wende muss nach wie vor durch Technologie und Politik kommen.

Technologie braucht tragfähige Business Cases…

Mit der richtigen Politik kann die Technologie den Verbrauch fossiler Brennstoffe derart verringern, dass die globale Erwärmung auf maximal 2 Grad begrenzt wird. Elektroautos und die Nutzung erneuerbarer Energien im Energiesektor haben die größten Auswirkungen, aber jeder Sektor muss seinen Beitrag leisten und jede Technik wird benötigt.

Die Energiewende erfordert daher immense Investitionen, hauptsächlich von Unternehmen und in geringerem Maße von Regierungen. Diese Unternehmensinvestitionen in nachhaltige Technologie erfolgen nur dann, wenn der Business Case finanziell tragfähig ist.

… aber es ist ungewiss, ob die Politik genügend tut.

Wenn wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens ernst nehmen, müssen wir davon ausgehen, dass die politischen Entscheidungsträger in aller Welt bereit sind, innerhalb weniger Jahre einen drastischen Kurswechsel vorzunehmen. Oder wir gelangen zu einer Welt mit viel Politik, in der fossile Brennstoffe unattraktiv und grüne Technologien finanziell attraktiver sind. Bei dieser Option ist die Energiewende weltweit in vollem Gange, und der Klimawandel bleibt begrenzt. Oder wir gelangen zu einer Welt mit wenig Politik, in der viele der notwendigen Technologien kommerziell nicht existenzfähig sind. In dieser Welt verstärkt sich der Klimawandel, wozu auch das Überschreiten irreversibler Umkehrpunkte beiträgt.

CO2-Bepreisung bietet Unternehmen und Investoren Orientierung

Unternehmer und Investoren tappen aufgrund dieser Unsicherheit im Dunkeln: Sollten sie in Strategien investieren, um die globale Erwärmung abzumildern, oder sollten sie in Anpassungsstrategien investieren, um ihre Geschäftstätigkeit vor Klimarisiken zu schützen? Wenn die Chancen, die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, sinken, ist es rational, in Maßnahmen zur Bewältigung der zunehmenden Klimarisiken zu investieren.

Eine Verlagerung des Schwerpunkts von der Eindämmung hin zur Anpassung könnte die Energiewende gefährden. Dies wird zu einer „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“, wenn Unternehmen zögern oder nur „No-Regret-Investitionen“ tätigen.

Eine stärkere und koordinierte Klimapolitik, insbesondere im Bereich der CO2-Bepreisung, geben eine Richtung vor und sichern schlüssige Business Cases. Dies ist eine Voraussetzung für die notwendigen Unternehmensinvestitionen. Erneuertes Vertrauen in Regierungen, Führungsstärke und mehr Koordination auf globaler Ebene sind notwendig, um die Energiewende umzusetzen. Zunehmende Hitzewellen, Waldbrände, Überschwemmungen und der Verlust der Artenvielfalt scheinen hierbei entscheidender zu sein als es die Covid-19-Pandemie im Moment ist.

An diesem Beitrag haben mitgewirkt:

  • Produktion: Emma van Harten
  • Partnerships: Derk Marseille
  • Redaktion: Bertus Bouwman und Peter Oehmen (sprachliche Adaption)

Kontakt

Nehmen Sie über das Formular unten auf dieser Seite direkt Kontakt auf. ↓

Beitrag teilen

  • Email
  • Twitter
  • Facebook
  • LinkedIn